Winner of the Pulitzer Prize

The Refugees – The search for a new identity

Francesca Polistina reviews The Refugees by Viet Thanh Nguyen for Migazin.

Die Geflüchteten: Erzählungen © Karl Blessing Verlag

Acht Erzählungen hat Viet Thanh Nguyen in diesem Band versammelt. Sie sind angesiedelt in den Siebziger- und Achtzigerjahren, handeln von Menschen, die aus Vietnam geflüchtet sind und versuchen, in Amerika eine neue Heimat zu finden.

Identität ist vielleicht das wichtige Wort im Viet Thanh Nguyens Erzählungsband Die Geflüchteten. Explizit wird es häufig verschwiegen, doch darum geht es letztendlich: der Versuch, ein zweites Leben woanders anzufangen, die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen der zerstörten Heimat und dem reichen Ankunftsland, die Kompromisse zwischen dem damaligen und dem jetzigen Leben, schließlich das Bedürfnis zu erinnern. Erinnerung an die Kindheit und deren Gerüche, an das Dorf, wo man aufgewachsen ist, an die Landsleute. Aber auch: Erinnerung an die Flucht per Boot, an die Gespenster der Vergangenheit, an die Gewalt des Krieges. Ein Krieg, der Jahrzehnte nach seinem Ende noch verarbeitet werden muss.

So erzählt Viet Thanh Nguyen beispielsweise von einer Mutter, dessen Sohn während der Flucht von den Piraten getötet worden war und jetzt als Gespenst zurückkommt. Oder von einer Frau, die zum ersten Mal ihre Familie in der Heimat besucht und von ihrem erfolgreichen Leben in den USA erzählt. Und noch von einem Kriegsveteranen, der zum ersten Mal jenes Land betritt, das er nur aus der Luft kennt. Er erzählt von normalen Menschen, die den Krieg erlebt haben: Sie waren jung oder alt, Opfer oder Täter. Sie haben sich – wie man gerne sagt – gut integriert, oder sie haben das Ankunftsland noch nicht verstanden. Sie denken noch an die Rache, oder sie haben sich damit abgefunden.

„Geflüchteter“, nicht „Immigrant“

Jede Geschichte des Sammelbandes Die Geflüchteten, das im Oktober beim Blessing Verlag erschienen ist, liest sich für sich, doch gleichzeitig als Teil eines Ganzen. Im Hintergrund spielt die Flüchtlingsbewegung der Vietnamesen nach dem Ende des Vietnamkrieges 1975: eine Flüchtlingsbewegung, zu der er selber gehörte. Geboren 1971 in Buôn Ma Thuột, im damaligen Südvietnam, floh Viet mit der Familie über die Guam-Insel in die USA. Dort lebte er vorerst im Flüchtlingslager in Fort Indiantown Gap und wurde dann, getrennt von Eltern und Bruder, in eine amerikanische sogenannte sponsor family geschickt.

Heute ist er Universitätsprofessor und Schriftsteller, für seinen Debütroman Der Sympathisant über einen Spion im Vietnamkrieg bekam er den Pulitzer-Preis. Von den Medien wird er häufig als Erfolgsgeschichte der Migration präsentiert, doch er besteht darauf, als „Geflüchteter“ anstatt als „Immigrant“ bezeichnet zu werden. Geflüchtete, sagt er, seien viel „bedrohlicher“ als Einwanderer, denn sie haben unser Land nicht ausgewählt, sondern wurden durch die Umstände vertrieben. Überdies seien sie in den Ländern, aus denen sie stammen, unerwünscht.

Komplexe Antworten

Die Erzählungen von Viet Thanh Nguyen sind nicht reell. Sie sind von der Realität inspiriert und tragen autobiografische Aspekte, doch sie bleiben ein literarisches Produkt. Wir wissen nicht, ob Liem der Erzählung The other Man tatsächlich existierte, und auch nicht ob das Leben von Louis Vu auf einer wahren Geschichte basiert. Doch das mag unwichtig sein. Denn der Schriftsteller ist nicht an den historischen Ereignissen interessiert, sondern eher an dem, was solche Ereignisse hinterlassen haben: Welche sind die Gefühle eines Flüchtlings? Welche die Ängste und die nicht überwundenen Traumata? Wie gehen Menschen damit um?

Die Antworten sind komplex und nuancenreich, sie scheuen jeden Katalogisierungsversuch und deuten im Gegenteil darauf hin, dass Migration keine homogene Erfahrung ist, sondern vielmehr eine sehr individuelle und subjektive, die man als solche betrachten sollte. Genau deshalb ist die Lektüre von Viet Thanh Nguyens Erzählungsband Die Geflüchteten empfehlenswert: sie bewegt sich in einer Dimension, die von der täglichen Berichterstattung verborgen wird, und zwar die Dimension hinter den Zahlen und den politischen Reaktionen. Dort, wo die Aufarbeitung des Krieges und die Suche nach einer neuen Identität beginnt.

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