Winner of the Pulitzer Prize

Everyone gets what they deserve in this Vietnam novel

This German review of Viet Thanh Nguyen’s The Sympathizer by Katharina Borchardt was originally published by Neue Zürcher Zeitung.

Sprachlich lässt er es krachen, inhaltlich ist er informiert und sattelfest. Mit seinem Roman «Der Sympathisant» setzt Viet Thanh Nguyen einen markanten Kontrapunkt zur amerikanischen Sicht auf den Vietnamkrieg.

Er ist ein Bastard. Schon seit frühester Kindheit wird dem Hauptmann das Schimpfwort nachgezischt, denn sein Vater ist Franzose, seine Mutter Vietnamesin. Die doppelte Herkunft sieht man ihm an, doch ist seine Zweiheit nicht allein äusserlich. Viet Thanh Nguyen hat ihn auch mit einer politischen Doppelrolle ausgestattet: Der Hauptmann, der im Roman bewusst namenlos bleibt, steht offiziell in Diensten eines südvietnamesischen Generals und ist zugleich ein kommunistischer Spion.

Der Roman setzt ein im April 1975, in den letzten Tagen vor dem Fall von Saigon. Der Hauptmann organisiert für seinen General und dessen Getreue die Flucht vor den anrückenden Vietcong. Actionreich schildert Viet Thanh Nguyen die Beschaffung von Ausreisevisa mithilfe von Drohung und Bestechung, die Fahrt zum Flughafen in Saigon und den gefährlichen Abflug in einem völlig überfüllten Flugzeug. Zuerst geht es in ein Flüchtlingscamp auf der Insel Guam, kurz darauf nach Kalifornien, wo sich die Exilanten niederlassen.

Billigkhakis mit Bügelfalte

Ein grosser Teil des Romans spielt in Los Angeles, wo Viet Thanh Nguyen selbst aufgewachsen ist. Er kam 1975 als Vierjähriger in die USA und notiert über sich selbst: «I was born in Vietnam but made in America.» Das Leben der vietnamesischen Exil-Community kennt er bis ins Detail und kann daher hervorragend beschreiben, dass etwa die Uhren in manchen Haushalten nicht die Uhrzeit von Los Angeles, sondern die von Saigon anzeigen. Trotzdem kommen die einstmals hochrangigen Militärs nicht umhin, sich in der Diaspora ein bescheidenes bürgerliches Leben aufzubauen. Der General selbst eröffnet einen Schnapsladen, in dem sich die alten Kameraden, die man früher nur in Uniform sah, «in quietschenden Pennyloafern aus der Schnäppchenabteilung und in Billigkhakis mit Bügelfalte» einfinden.

Präzise ist Viet Thanh Nguyens Beobachtungsgabe, scharf ist seine Zunge. Oder besser: Scharf ist die Zunge, die er seinem Erzähler, dem namenlosen Hauptmann, mitgibt. Da bekommt jeder sein Fett ab: die südvietnamesischen Militärs, die Heimatverlust und Karriereknick verarbeiten müssen, die Amerikaner, die den vielen zugezogenen Schlitzaugen misstrauen, und auch die nordvietnamesischen Kämpfer, deren Idealismus sich umgekehrt proportional zum Erfolg ihrer Revolution entwickelt. Das bringt scharfkantige Einsichten und auch manch einen Lacher, denn Viet Thanh Nguyens Hauptmann hat einen um kraftvolle Worte und kernige Vergleiche nicht verlegenen Humor.

Sein Bericht, der als schriftliches Geständnis angelegt ist – was sich zum Ende des Buches erklärt –, orientiert sich in weiten Teilen am Umgangston in amerikanischen Spionageromanen und lässt daher stärker die Muskeln spielen als die viel stiller verfassten Exilgeschichten von Autorinnen wie Kim Thúy, Monique Truong oder Linda Lê. Nguyen kommt sprachlich zur Sache.

Allerdings ist das ein nicht immer ungetrübtes Vergnügen. Sprüche klopft er gern, und er zieht häufig auch den weiblichen Körper zu Vergleichen heran, etwa wenn er Soldaten durch die «vaginale Dunkelheit» der Nacht stolpern lässt oder wenn der Verstand des Hauptmanns unter der Folter, die er später noch erleiden muss, «so wund und rissig» wird «wie die Brustwarzen seiner Mutter gewesen sein mussten, nachdem sie ihn gesäugt hatte».

Mann ohne Eigenschaften

Natürlich kopiert Viet Thanh Nguyen diesen hardboiled-Ton nicht bloss, sondern legt ihn einem Erzähler in den Mund, dessen herausragende Eigenschaft es ist, kaum Eigenschaften zu haben. Eigentlich ist er nicht einmal ein politischer Mensch. Die Anpassungsfähigkeit dieses «Sympathisanten» auch auf sprachlichem Gebiet macht ihn geradezu unkenntlich: Sein kerniger Duktus simuliert innere Stabilität und fungiert zugleich als Tarnkappe.

Wer diesem Chamäleon wirklich etwas bedeutet, das sind seine Freunde Man und Bon, seine früh verstorbene Mutter und zwei Frauen asiatischer Abstammung, in die er sich in den USA ernsthaft verliebt. Er ist durchaus empfindsam. Zwar tötet er auf Befehl – in Amerika fallen ihm ein ehemaliger Major der südvietnamesischen Armee und ein linksgerichteter Journalist zum Opfer, was Nguyen handlungsstark erzählt –, doch suchen ihn die Opfer heim in seinen Träumen und in den Wahnvorstellungen, die er später entwickelt. Besonders schwer verfolgen ihn die Erinnerungen an eine junge Kommunistin, der er nicht half, als sie während des Kriegs gefoltert wurde. «Mein Nachname ist Viet, und mein Vorname ist Nam», schreit sie panisch, bevor sich ihre südvietnamesischen Landsleute ans Werk machen. Eine Kernszene des Romans, in der das verursachte Leid bewusst keiner fremden Macht zugeschrieben wird.

«Abgesehen von meinem Gewissen war meine Leber mein am übelsten missbrauchtes Körperorgan», kommentiert der trinkfeste Hauptmann seine Taten und auch seine Unterlassungen auf gewohnt robuste Weise. Dieses Gewissen meldet sich auch in einer der turbulentesten Passagen des Romans: einer Persiflage auf die Dreharbeiten für den Vietnamkriegs-Klassiker «Apocalypse Now», an denen der Hauptmann mitwirkt, um die Authentizität des Films zu prüfen. Der Irrwitz dieser Aufnahmen, die für die asiatischen Komparsen nur Schmerzensschreie, aber keine verständlichen Äusserungen vorsehen, kulminiert schliesslich in der schallenden Regieanweisung: «Tote Vietnamesen, auf eure Plätze!»

Regisseur Francis Ford Coppola lässt Nguyen als cholerischen Auteurauftreten, dem fiktiven Sachbuchautor Richard Hedd legt er Worte von Vietnam-General William Westmoreland in den Mund. Mit beiden führt der Erzähler lange Debatten darüber, wie der Westen den gelben Mann sieht und darstellt. In diesen Passagen zeigt der Roman, auf welch beachtlichem Fundament aus historischem, politischem, literarischem und cineastischem Wissen er fusst. Romane von Graham Greene und Marguerite Duras werden ebenso diskutiert wie der Sachbuchklassiker «Fire in the Lake», mit dem Frances Fitzgerald noch vor Ende des Vietnamkriegs den Pulitzerpreis gewann.

Ein krachendes Statement

43 Jahre später (2016) wurde auch Viet Thanh Nguyens «Der Sympathisant» mit dem begehrten Preis ausgezeichnet. Werkbiografisch eingerahmt wird dieser Roman von Nguyens Sachbüchern «Race and Resistance» und «Nothing Ever Dies» sowie seinem jüngst erschienenen Erzählband «The Refugees», der 2019 ebenfalls im Blessing-Verlag auf Deutsch erscheinen wird.

Ob Sachbuch oder Prosa: Ngyuens Bücher befassen sich alle mit dem Vietnamkrieg und seinen Folgen. Derzeit arbeitet er an einer Fortsetzung des «Sympathisanten», die unter Exil-Vietnamesen in Paris spielt. Sein Wissen ist enorm, und nicht selten wirkt «Der Sympathisant» ziemlich vollgestopft. Diese inhaltliche Überfrachtung wie auch sein sprachliches Muskelspiel aber tragen zur Kraft dieses Romans bei. Es gelingt Nguyen mit seinem ersten Roman, dem amerikanischen Narrativ zum Vietnamkrieg ein krachendes Statement entgegenzusetzen.

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