“The Vietnam War continues to characterize US action”

Rodion Ebbighausen discusses The Sympathizer with Viet Thanh Nguyen in this interview for Deutsche Well

Viet Thanh Nguyen hat einen ungewöhnlichen Roman zum Vietnamkrieg vorgelegt. Er bricht mit sämtlichen westlichen Erwartungen. Die Deutsche Welle traf den Pulitzer-Preisträger zum Gespräch in Berlin.

Viet Thanh Nguyens Roman “Der Sympathisant” ist das Geständnis eines namenlosen Erzählers, der sich selbst so vorstellt: “Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern. Da ist es vielleicht kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin.” Die Janusköpfigkeit des Erzählers ergibt sich aus seiner Herkunft. Geboren unter französischer Kolonialherrschaft als Sohn einer minderjährigen vietnamesischen Mutter und eines katholischen Priesters aus Frankreich wird er von den Vietnamesen diskriminiert und seinem Vater verleugnet. Später gelangt er auf Umwegen in die USA, wo er studiert. Die perfekten Englischkenntnisse des Ich-Erzählers machen ihn nach seiner Rückkehr nach Vietnam schließlich zum Adjutanten eines südvietnamesischen Generals, der mit den US-Amerikanern zusammenarbeitet. Als Kind vieler Welten, ohne je irgendwo heimisch zu werden, ist der Ich-Erzähler der perfekte Doppelagent. So arbeitet er zugleich als Spion für den kommunistischen Widerstand aus dem Norden.

Ausgestattet mit der Fähigkeit, alles von zwei Seiten zu betrachten, schildert der Ich-Erzähler in einem furiosen Auftakt den Untergang Saigons und an der Seite des Generals die Flucht in die USA. Im Auftrag der Kommunisten soll er den General auch in dessen neuer Heimat weiter bespitzeln.

Der Roman kommt dann in ruhigeres Fahrwasser und schildert auf komische Weise den Zusammenprall zweier Kulturen. Während der General und sein Adjutant in den USA den Aufbau einer – historisch belegten – Truppe zur Rückeroberung Vietnams vorantreiben, wird der Ich-Erzähler für einige Monate auch noch zum Berater eines Hollywoodfilms über den Vietnamkrieg, der unverkennbar an Francis Ford Coppolas Apocalypse Now erinnert. In dieser Episode führt Viet Thanh Nguyen souverän vor, wie ein Land zwar den Krieg gewinnen, aber die Deutungshoheit darüber verlieren kann. Der Vietnamkrieg ist und bleibt eine rein amerikanische Angelegenheit.

Nach Rückkehr von den Dreharbeiten auf den Philippinen und immer tieferer Verstrickung in Lüge, Verrat und Mord kehrt der Ich-Erzähler mit Hilfe der CIA und einer kleinen Truppe von Freiwilligen zurück nach Vietnam, um die Niederlage doch noch in einen Sieg zu verwandeln. Sie scheitern und enden in einem Umerziehungslager. Dort legt der Erzähler ein Geständnis ab, das der Leser als Roman in den Händen hält.

Am Schluss sind alle Götzen zertrümmert: der amerikanische Traum, das Pathos der Freiheit und die revolutionäre Hoffnung Vietnams. Es bleibt allein der Wille zum Leben.

Mehr als ein Spionagethriller

Das Buch hat in den USA einen Nerv getroffen und wurde 2016 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Die besondere Leistung des Autos besteht darin, dass Spannung und Dichte des Thrillers niemals nachlassen, auch wenn grundsätzliche Fragen thematisiert werden: Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Ist für einen guten Zweck jedes Mittel erlaubt? Haben wir eine Chance, jemals dem Labyrinth aus Meinungsmache und Kulturindustrie zu entkommen? Darüber hinaus zeigt der Roman, wie gegenwärtig der Vietnamkrieg ist und welche Bedeutung er für jüngere Kriege in Afghanistan und im Irak hat.

“Der Sympathisant” gleicht einem reinigenden Gewitter. Sicher geglaubte Überzeugungen und Gewissheiten werden weggespült. Ein aufklärerisches Buch, das zur richtigen Zeit kommt angesichts eines US-amerikanische Präsidenten der Nordkorea mit “Feuer und Wut” droht.

Deutsche Welle: Sie sind 1971 in Vietnam geboren und 1975 mit ihren Eltern in die USA geflohen. Sie sind ein Amerikaner mit vietnamesischen Wurzeln. Hat ihnen diese Erfahrung geholfen, alles von mindestens zwei Seiten zu betrachten?

Viet Thanh Nguyen: Ich glaube schon. Ich bin zwar amerikanisch sozialisiert, aber ich war mir meiner Herkunft immer sehr bewusst. Ich war in den USA von Vietnamesen, insbesondere der vietnamesischen Flüchtlingsgemeinschaft umgeben. Das bedeutete für mich, dass ich mich niemals ganz heimisch gefühlt habe. Für die vietnamesischen Flüchtlinge, ja sogar für meine Eltern, war ich ein Amerikaner. Aber sobald ich mich in den USA außerhalb der vietnamesischen Gemeinschaft bewegt habe, fühlte ich mich als Vietnamese. So konnte ich einerseits von innen heraus verstehen, welche Überzeugungen dort für selbstverständlich galten, andererseits konnte ich das vermeintlich Selbstverständliche von außen infrage stellen.

Haben Sie ein Beispiel?

Sprechen wir über den amerikanischen Traum. Das ist etwas, woran die Amerikaner zutiefst glauben. Aber wenn du nicht Teil des amerikanischen Traums bist, dann schaust du mit einer gehörigen Portion Skepsis auf dieses Ethos, so wie ich das getan habe.

Oder denken wir an die vietnamesische Flüchtlingscommunitiy in den USA. Die Menschen waren zutiefst antikommunistisch. Und mir ist natürlich klar, warum das so war. Aber zur gleichen Zeit, als jemand, der sich selbst als Amerikaner versteht, wurde mir klar, dass dieser strikte Antikommunismus den Horizont einengt. Und zwar auf eine Weise, die sich die Menschen innerhalb dieser Gemeinschaft niemals vorstellen können.

Wenn Sie heute nach Vietnam schauen und dabei an den langen Krieg denken, was geht Ihnen durch den Kopf?

Was wir heute sehen, ist ein vom Kapitalismus geprägtes Land und das ist ironischerweise das, worum es Amerika zu allererst ging. Wir sehen aber auch ein Land, das mit seiner eigenen Geschichte hadert. Dabei geht es vor allem um die Geschichte der siegreichen Kommunistischen Partei. Die Partei ist zwar an der Macht, aber sie ist vollkommen korrupt. Wir sehen ein Land voller Widersprüche, das mit seinem politischen und wirtschaftlichen Erbe kämpft. Das ist natürlich faszinierend, aber zuweilen auch erschreckend.

Warum ist es ihrer Ansicht nach so schwierig, die Ideale, für die die Vietnamesen jahrelang gekämpft haben, nach dem Sieg in konkrete Politik umzusetzen?

Sobald Menschen mit Gewalt in Kontakt kommen, werden sie durch die Gewalt verändert. Die meisten Revolutionen formulieren edle Ziele. Aber um diese Ziele zu verwirklichen, ist es oftmals und bedauerlicherweise notwendig, Menschen zu töten. Selbstverständlich muss man niemanden foltern, aber auch das passiert immer wieder. Der Kampf um die Macht ist undenkbar ohne die Ausübung von Macht. Und das verändert Menschen und ganze Gesellschaften drastisch.

Mit Blick auf Vietnam möchte ich hinzufügen, dass wir immer noch in der Folgezeit der vietnamesischen Revolution leben. Es ist gerade einmal 40 Jahre her. Denken wir an Amerika oder Frankreich 40 Jahre nach der Revolution, dann sehen wir ähnliche Probleme. Doch mit dem gewachsenen zeitlichen Abstand vergessen wir die Schrecken, die sich nichtsdestotrotz ereignet haben. Mit Blick auf Vietnam ist der Schrecken noch ein lebendiger Teil unserer Erinnerung.

Gilt das auch für die USA, wo der Vietnamkrieg nach wie vor eine besondere Rolle spielt?

Die USA sind ebenfalls eine widersprüchliche Gesellschaft. Sie haben den amerikanischen Traum, der eine ungeheure Wirkung hat, und zwar nicht nur für Amerikaner, sondern auf der ganzen Welt. Aber es gibt auch den amerikanischen Albtraum. Dieses Land gründet sich auch auf Sklaverei, Völkermord und Eroberung. Das sind zwei Seiten des amerikanischen Charakters und der amerikanischen Geschichte. Wie zwei Seiten einer Münze lassen Sie sich nicht trennen. Und Amerika hat mit diesen Widersprüchen immer gekämpft. Für mich repräsentiert Donald Trump den Albtraum. Aber er ist zugleich der Präsident, den Amerika verdient. Er repräsentiert den Teil des amerikanischen Charakters, der ausländerfeindlich, rassistisch, nationalistisch und gefährlich ist. Denn jetzt ist dieser Teil Amerikas wieder an der Macht.

Haben Sie den Eindruck, dass die USA aus dem Vietnamkrieg und mit Blick auf jüngere Kriege in Afghanistan oder im Irak etwas gelernt haben?

Der Vietnamkrieg hat für mich eine besondere Bedeutung, nicht nur weil ich persönlich von ihm betroffen bin, sondern auch weil er einen Abschnitt einer viel längeren historischen Entwicklung amerikanischer Expansion darstellt: Die Eroberung des amerikanischen Westens, der Philippinen, später Korea, Japan, Vietnam und jetzt Irak und Afghanistan. Irak und Afghanistan, aber auch das, was die USA im Nahen Osten machen, sind Wiederholungen dessen, was die Amerikaner schon immer getan haben.

Vietnam ist dabei interessant, da unmittelbar nach dem Vietnamkrieg die Wahrnehmung der USA war: Vietnam war ein schlechter Krieg. Das sollte sich nie wiederholen. Aber im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich diese Wahrnehmung gewandelt. In der Politik und in der Regierung gibt es Leute, die heute sagen, der Vietnamkrieg war kein Fehler. Es war ein guter Krieg, aber wir sind gescheitert. Wir haben Fehler gemacht, aber wenn wir aus den Fehlern lernen, werden wir uns zukünftig besser schlagen. Und das ist es, was wir im Irak und auch in Afghanistan sehen. Das Militär versucht strategisch und taktisch von den Erfahrungen aus Vietnam zu profitieren. Man verlegt sich auf einen Drohnenkrieg und verbietet den Medien, anders als in Vietnam, den Zutritt auf die Schlachtfelder. Der Vietnamkrieg prägt bis heute das Agieren der USA.

  Wie ist es zu dieser Umdeutung des Vietnamkriegs gekommen? Welche Rolle spielten dabei Medien und Kino?

Alle Präsidenten, sowohl Demokraten als auch Republikaner, haben versucht, den Vietnamkrieg in einen guten Krieg umzudeuten. Das passiert seit Jimmy Carter.

Hollywood war diesbezüglich viel ambivalenter. Es hat zwar in den Filmen die dunklen Seiten des Vietnamkriegs gezeigt. Aber in der amerikanischen Version des Vietnamkrieges geht es nur um Amerikaner, obwohl der Vietnamkrieg viel mehr Vietnamesen das Leben gekostet hat. Selbst wenn Amerikaner in ein schlechtes Licht gestellt werden, stehen sie im Zentrum der Geschichte. Und das ist wesentlich für Hollywoods Umdeutung des Vietnamkriegs. Denn selbst obwohl große Teile der Welt gegen den Vietnamkrieg waren, sieht der größte Teil der Welt den Vietnamkrieg mit amerikanischen Augen. Ganz gleich, ob es nun die Hollywood-Brille oder der Sucher amerikanischer Fotojournalisten ist. Das bedeutet, der Vietnamkrieg ist für den größten Teil der Welt eine rein amerikanische Erfahrung. Und das wiederum ist entscheidend für die andauernde Machtausübung der USA, sei es durch die “hard power” des militärisch-industriellen Komplexes oder durch die “soft power” Hollywoods, die dafür sorgt, dass wir uns behaglich fühlen, selbst dann, wenn Amerikaner schreckliche Dinge tun.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.

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