Danny Marques Marcalo reviews The Sympathizer by Viet Thanh Nguyen. Originally published by NDR.
In vielen Büchern über den Vietnamkrieg geht es um die Erfahrungen amerikanischer Soldaten. In den USA hat vor zwei Jahren nun ein Roman aus vietnamesischer Perspektive für Furore gesorgt. Nun erscheint er auch in Deutschland. In “Der Sympathisant” erzählt Viet Thanh Nguyen von einem Doppelagenten unter Vietnamesen, die in die USA geflohen sind. Klingt ernst, ist aber auch sehr lustig.
Flucht vor dem Vietcong
Saigon, 1975. Der namenlose Erzähler ist privilegiert. Denn als Assistent eines einflussreichen Generals kann er noch aus dem Land fliehen, als der Vietcong die Stadt erobert. Aus einem Flugzeug schaut er herab auf das gefallene Saigon.
“Stille legte sich über die von Vorahnung und Beklemmung hypnotisierten Passagiere. Zweifellos dachten sie das Gleiche wie ich. Good-Bye, Vietnam. Au revoir, Saigon.”
Dabei dürfte die Eroberung durch den Vietcong ein Grund zur Freude für den Erzähler sein.
Verschlüsselte Berichte über misslungene Integration
Schließlich ist er ein kommunistischer Undercover-Agent. Sympathisant genannt. In Amerika angekommen bleibt er dicht beim General. Über dessen Aktionen erstattet er verschlüsselt Bericht an einen Kontakt in Europa. Zum Beispiel, dass ihm und den anderen Flüchtlingen aus Vietnam die Integration nicht gelingt.
“Wir waren Aliens, die gerüchteweise eine Vorliebe für den Fido Americanus hatten. Den Haushund, für den pro Kopf mehr Geld ausgegeben wurde, als eine Familie aus Bangladesch zum Leben hatte.”
Der Autor Viet Thanh Nguyen ist 1971, mitten im Krieg, in Vietnam geboren. Als Kleinkind flieht er mit seiner Familie nach Amerika. Er macht die Erfahrung, dass er zwar amerikanische Werte lernen soll, als Vietnamese aber kaum akzeptiert wird. Eine Dualität, die er auch heute beim Umgang mit Fremden in Amerika beobachtet.
“Der Kalte Krieg hat diese Dualität provoziert. Heute beobachten wir sie beim Umgang mit Muslimen. Schließlich ist die kommunistische Gefahr kaum wahrnehmbar. Aber wenn man im Kalten Krieg aufwuchs, war dieses Gefühl sehr intensiv.”
Der namenlose Erzähler in “Der Sympathisant” macht Ähnliches durch. Schon in Vietnam ist er als Sohn eines Hausmädchens und eines französischen Missionars Außenseiter.
Von der Logik “undercover” zu sein
Später darf er in Amerika studieren, was ihn nach seiner Rückkehr zum Vietcong verdächtig macht. Für einen Mann, der immer mehrere Perspektiven kennt, ist es logisch, undercover zu arbeiten.
“Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern. Da ist es vielleicht kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin.”
Es könnte eine sehr schwermütige Geschichte sein, die Nguyen erzählt. Ist sie aber nicht, denn der Roman ist sehr humorvoll. Trocken analysiert der Erzähler die Eigenheiten der westlichen Welt.
“Das Papier, mit dem sich der Westen abwischte, war weicher als das Papier, mit dem der Rest der Welt sich die Nase schnäuzte. (…) Der Rest der Welt wäre sprachlos über den Luxusgedanken, sich mit Papier die Nase zu putzen.”
Solche Beobachtungen bereichern dieses anspruchsvolle Buch. Die Handlung ist ausgedehnt, mit Mordkomplotten und einer langen, sehr witzigen Passage über den Dreh eines Vietnamkriegsfilms. So gelingt Viet Thanh Nguyen ein bewegender Roman über die Identitätskrise eines Einzelnen, aber auch einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Und das mit einem Augenzwinkern.
Am 19. August ist Viet Thanh Nguyen zu Gast bei NDR Kultur, ab 18 Uhr in der Sendung “Das Gespräch”.